Alle, die gerade im Berufsleben stehen, erleben es: Die Art, wie sie arbeiten, verändert sich gerade rapide. Es gibt Debatten darüber, ob es eine Vier-Tage-Woche geben soll, Homeoffice – oder doch nicht, wer sind die Kolleg:innen, so sitzen sie, was machen sie? Fragen über Fragen. Einer, der diesen Fragen – und auch den Antworten auf sie – nachspürt, ist der Vitra-Trendscout Raphael Gielgen. Weil vieles in den vergangenen Jahren an alter Struktur auf der Strecke geblieben ist, ist er auf der Suche nach neuen Gewissheiten, die für die Arbeitswelt gelten können. Auf die Zukunft, die in dem Bereich gerade auf uns zurollt, müssen wir uns vorbereiten. Unsere Zukunftskonferenz SpaceWalk Talks ist der Ort, an dem ihr einen Tag lang alles lernen könnt, um euch fit für die kommenden Jahre zu machen. Das sagt er über sein Panel:
robotspaceship: Du bist Trendscout bei Vitra, das heißt du schaust, wo und wie die Menschen in Zukunft arbeiten könnten. Was können denn die Leute am 7. November von dir erwarten?
Raphael Gielgen: In einem Magazin erschien mal ein Artikel über mich mit der Headline “Der Mann sucht Arbeit”. Das fasst schon ganz gut zusammen, was ich tue. Ich reise um die Welt und bin ein Spurenleser für die Zukunft der Wissensarbeit. Und wenn wir jetzt über die Konferenz bei euch sprechen – dann kann man das so sagen: Ich bin der, der die Wetterkarte für Pilot:innen dabeihat, dass diese sich immer wieder die Frage stellen müssen, welche Flugroute die optimale ist. Die Pilot:innen sind die Gäste am 7. November. Das Wetter ist die Zukunft. Denn über die sprechen wir ja.
Wie meinst du das?
Die vergangenen zweieinhalb Jahre waren außergewöhnlich. Was wir hier sehen, ist sicherlich mehr als nur der Verlauf eines weiteren Konjunkturzyklus. Die Menschen fragen sich, welche Gewissheiten noch übrig sind. In Wahrheit spielt sich das Berufsleben von vielen von uns in einer klaren und konsistenten globalen Landschaft ab. Einer Landschaft, in der wir vielleicht viele implizite Annahmen und Überzeugungen darüber, wie die Welt funktioniert, verankert haben, die nun direkt infrage gestellt werden. Noch nie wurde aus Zukunft so schnell Gegenwart wie heute. Wenn wir die Zukunft aktiv gestalten wollen, dann müssen wir die Zukunft auch aus der Zukunft heraus gestalten und nicht aus der Gegenwart. Dazu bedarf es der Wetterkarten.
Was kann man also tun?
Alle Akteure, egal ob in Unternehmen, Verwaltungen oder der Politik, sind damit konfrontiert, die Zukunft zu entwerfen und gleichzeitig die Gegenwart zu bewältigen. Die Transformation in der vor uns liegenden Dekade werden wir dann fortschrittlich positiv gestalten, wenn wir ambitioniert nicht eine mögliche Zukunft planen, sondern viele Alternativen. Das erfordert einen ZOOM OUT. Das bedeutet, die vor uns liegende Welt zu verstehen, neue Muster zu entdecken und daraus Chancen und Potenziale für die eigene Zukunft abzubilden.
Kannst du hier ein bisschen konkreter werden?
Wenn ich sage, dass ich Trendscout bei Vitra bin, dann meint mein Gegenüber: Der reist um die Welt und schaut sich Büros an, damit Vitra gute Stühle bauen kann. Das ist eben nicht der Fall. Zusammenhänge und Signale zu verstehen Das ist viel mehr. Die Signale, nach denen ich suche, haben vier Dimensionen. Wo findet Arbeit statt physisch und virtuell? Mit wem arbeiten wir zusammen, wer sind die Kolleg:innen von morgen? Mit welchen Tools arbeiten wir? und das Wichtigste ist: Woran arbeiten wir eigentlich?
Diese Ideen fließen dann in die Möbel mit ein?
Rolf Fehlbaum schreibt im Buch PROJEKT VITRA: „Vitra geht von laufend reflektierten Konzepten aus, die sich auf die Untersuchung heutiger und zu erwartender Lebensbedingungen beziehen. Gehen wir mal zurück in die 2000er Jahre. Der «Raum im Raum» war ein Konzept, das Vitra schon lange verfolgte, im Jahr 2006 entstand die Sofafamilie Alcove. So entstand ein neuer Standard. Genau diese Reflektion erfordert mehr als einen Raphael Gielgen. Es erfordert eine Haltung, die in weiten Teilen des Unternehmens verwurzelt ist.
Warum haben sich viele darüber denn keine Gedanken gemacht?
Die Wirtschaft kommt aus einem langen und erfolgreichen Zyklus. Diese basierte auf einer global vernetzten Welt und einem Welthandel, der in weiten Teilen friedlich war; der günstigen Verfügbarkeit von fossilen Brennstoffen; niedrige Inflation mit gleichzeitiger starker Schuldenausweitung und einem technologischen Fortschritt mit einer enormen Ausstrahlung. Über 20 Jahre hatten wir keinen Grund, dieses System infrage zu stellen.
Das heißt, wir müssen uns dafür jetzt ein völlig neues Skillset aneignen?
Ja! Wir haben die Zukunft ausgelagert oder delegiert. Viele von uns haben in den vergangenen Jahren so getan, als sei die Zukunft etwas, das sie nichts angeht, das andere für sie erledigen. Wir wären deshalb auch nicht in der Situation, in der wir jetzt sind, wenn wir alle ein Auge auf die Zukunft gehabt und die Signale gedeutet hätten. Menschen tun oft so überrascht, aber es ist ja in den meisten Fällen so, dass Dinge absehbar sind. Das Ganze hat aber noch eine weitere Dimension.
Welche denn?
Zukunft kann man nicht aus der Gegenwart denken, Zukunft kann man nur aus der Zukunft denken. Man muss gedanklich einen Sprung machen und jeder sollte sich regelmäßig die Frage stellen: Wie relevant ist das, was ich heute tue, in fünf oder in zehn, für mich, für meine Kunden oder für mein Unternehmen? Genau bei dieser Frage hilft es, wenn man eine „Wetterkarte“ vor Augen hat.
Was könnte denn in 10 Jahren irrelevant sein, kannst du ein Beispiel geben?
Wer anfängt, sich darüber Gedanken zu machen, wird merken: 10 Jahre sind ganz schön lang. In der Zeit kann eigentlich alles passieren. Deshalb macht es für uns Sinn im Zoom In, also mit dem Blick auf die kommenden paar Monate zu leben, aber gleichzeitig quartalsweise den Zoom Out zu wagen und richtig weit nach vorne zu blicken. Dadurch können wir ganz anders durch die Zeit navigieren. Schauen wir uns die Wissensarbeit an. Wir würden jetzt nicht solche Debatten über AI und ChatGPT führen, wenn wir uns Gedanken darüber gemacht hätten, ob Wissensarbeit automatisiert werden könnte. Ich habe das nie ausgeschlossen. Wir können schließlich alles andere automatisieren. Die Leute haben aber einfach gedacht, dass sie das nicht betreffen wird und nicht ordentlich hingesehen. Und damit fängt das Spiel an. Jetzt kann man natürlich immer noch sagen, dass man nicht weiß, wie diese Automatisierung passieren soll. Aber dann kann man sich immer noch damit befassen – und dann findet man schon Signale, in welche Richtung das gehen kann.
Ihr versucht also Begleiter dieses Wandels zu sein?
Nein, wir können ja nicht nur Begleiter sein, weil wir selbst ein Teil davon sind. Wir sind ein Teil der Rezeptur. Aber wir sind eben ein Möbelhersteller und auch eine Design Company und Design bedeutet auch immer Beobachtung. Man gestaltet Dinge ja nicht nur der Schönheit wegen oder aufgrund der ästhetischen Qualität. Ein Produkt findet auch immer im Kontext einer Welt statt. Und für uns ist es eben wichtig, die Kontexte auf der Welt zu verstehen – sonst brauchen wir keine Produkte machen.
Stellst du als Trendscout dann auch Prognosen auf, wie die kommenden 10, 15 Jahre werden können?
Prognosen weniger, ich versuche eher, ein Panorama zu zeichnen. Wir treten bei Vitra ja nicht den Beweis an, dass das, was wir sagen, auch passiert. Wir versuchen aber immer, einen Möglichkeitsraum zu eröffnen. Und das will ich auch in Mainz machen.
Wer ist Raphael Gielgen?
Raphael ist Trendscout beim high-end Möbelhersteller Vitra. Vitra ist eine der bekanntesten Marken weltweit, wenn es darum geht, Büros einzurichten. Viele der Pieces von Vitra sind weltberühmt. Wer kennt nicht die Eames Chairs? Raphael versucht herauszufinden, wie sich die Arbeitswelt gerade ändert und was das eigentlich für Auswirkungen auf Mensch und Büro haben wird. Sein Wissen ist nicht weniger als ein Blick in mögliche Zukünfte der Arbeit.
Zukunft lernen auf unserer Zukunftskonferenz am 7. November in Mainz.
Viele Unternehmen stehen gerade vor der Herausforderung, dass ihnen die Zukunft ungewiss erscheint. Wir geben euch bei unseren SpaceWalk Talks einen Tag lang alles an die Hand, das ihr wissen müsst, um euch für die kommenden Jahre aufzustellen. Lernt von unseren Top-Speaker:innen alles über Künstliche Intelligenz, das Metaverse und die Work-Trends von morgen.
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