Magazin NEUSTART KI
  • Bastian Hosan
  • 29.01.2024

Wie erfindet man sich neu, Katharina Mayer?

Katharina Mayer war Kuchentratsch und Kuchentratsch war Katharina Mayer. Für fast ein Jahrzehnt. Dann kam die Insolvenz und damit die Frage: was jetzt? Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie man sich nach dem Undenkbaren neu erfindet. 

Acht Jahre, in denen man an seinem eigenen Unternehmen arbeitet, sind eine lange Zeit. Wenn diese Zeit dann abrupt endet, kann das schmerzhaft sein. So ging es Katharina Mayer, der Gründerin von Kuchentratsch, einem sozialen Business aus München. Nicht nur beschrieb sie sich selbst als eng mit ihrem Geschäft verbunden, sie war auch eine Galionsfigur des Social-Business in Deutschland, auf LinkedIn folgten ihr dafür mehr als 10.000 Leute. Was macht das mit einem, wenn dieses Impact-Business wegbricht – und wie macht man weiter? Darüber haben wir mit ihr gesprochen. 

robotspaceship: Vor rund einem Jahr musstest du mit Kuchentratsch Insolvenz anmelden, ein riesiger Bruch in deinem Leben. Wie geht es danach weiter?

Katharina Mayer: Ich bin nach der Übergabe an Höflinger Müller in einen langen Prozess eingetreten, in dem ich mich sehr intensiv mit mir selbst befasst habe. Ich habe mir die Zeit genommen, die letzten acht Jahre zu reflektieren. Ich habe mir Zeit genommen, die letzten Monate in der Firma zu reflektieren. Und ich habe mich viel mit dem Thema Trauer beschäftigt, um „mein Baby“ Kuchentratsch loslassen zu können.

Denn Kuchentratsch war über die letzten acht Jahre mein Ein und Alles. Kuchentratsch war so eng mit mir verwoben, dass es zu meiner Identität wurde. Ich war über acht Jahre lang Katharina von Kuchentratsch und es war klar, dass ich das in Zukunft nicht mehr sein werde. Die große Frage war: Wer bin ich ohne Kuchentratsch?

Kannst du sagen, was wichtige Schritte nach vorne für dich waren?

Im Rückblick war die Möglichkeit, einen Executive MBA in Oxford machen zu dürfen, ein essenzieller Rettungsanger für mich. Oxford hat mir eine Orientierung gegeben. Das Studium ging im Januar los, und hat mir die Möglichkeit gegeben, ganz anders auf mich selbst zu schauen. Ich bin mit so diversen Menschen aus anderen Ländern und anderen Industrien in Kontakt gekommen – mit dem Ergebnis, dass sich mein Horizont nochmal ganz anders geöffnet hat. Ich habe nach vielen Jahren mal wieder über den Tellerrand der Startup Blase, in welcher ich mich sehr zu Hause gefühlt habe, hinausgeschaut.

In dieser Zeit der Reflexion, war es für mich besonders wichtig, mich mit meinem eigenen Purpose, mit meiner Vision, mit meinen Werten zu beschäftigen. Denn natürlich stand die ganz große Frage im Raum: Was mache ich in den nächsten Jahren? Wer möchte ich sein? So schwer wie diese Situation mit Kuchentratsch war, hatte ich auf einmal ein komplett weißes Papier vor mir liegen. Eine Möglichkeit und auch ein Privileg, mich nochmal ganz neu aufzustellen. Dies als Möglichkeit zu sehen, war ganz viel Mindset-Arbeit.

Hast du das allein gemacht oder hast du dir Hilfe geholt?

Externe Hilfe war für diesen Prozess essenziell wichtig. Ich habe mir für die verschiedenen Themen verschieden Hilfe geholt. Für die Trauerarbeit etwa habe ich z.B. jede Woche mit einer Therapeutin gesprochen. Davon habe ich sehr viel mitgenommen.

Was zum Beispiel?

Ich habe mich eine Zeit lang jeden Abend mit Post-ist hingesetzt und aufgeschrieben, was ich loslassen will und diese Zettel dann in einem Ritual von einer Brücke in die Isar geworfen. Das war ein sehr hilfreiches Tool zum Loslassen. An der Uni habe ich dann die vielen Möglichkeiten der Karriereberatung genutzt, in Coachings Visionsarbeit gemacht und nach einigen Monaten bin ich intensiv in den Austausch mit verschiedenen Menschen gegangen.

Was hat dir den meisten Halt gegeben?

Vor allem waren meine Familie und meine Freunde:innen zentrale Säulen. Ich bin sehr dankbar, dass ich so großartige Menschen um mich habe, die zu der Zeit für mich da waren. Sei es einfach nur mit mir auf dem Sofa zu trauern, mir essen vorbeizubringen oder mir zuzuhören.

Zusätzlich, war definitiv das Studium in Oxford ein Anker, der ich nicht wie ein Korken auf rauer See treiben ließ. Das hat mir vor allem auch die Kommunikation auf den sozialen Medien und in meinem Umfeld erleichtert. Denn die Frage, was ich den jetzt mache, war in jedem Gespräch sehr präsent.  

Gründen – und Unternehmen wieder beerdigen sind ja eigentlich ganz normale Vorgänge, auch wenn sie schmerzhaft sind. Wie haben denn die Leute auf deine Nachricht reagiert?

Als ich damals sehr offen über LinkedIn die Situation von Kuchentratsch geteilt habe, hab es wahnsinnig viele Reaktionen auf diese Nachricht. Ich habe in diesem Moment erst verstanden, dass Kuchentratsch unglaublich viele Menschen berührt hat. Da war tatsächlich auch viel Trauer und Zuspruch. Vor allem viele Geschichten, wo Kuchentratsch die Leute begleitet hat.

Wie können sich andere Gründer:innen schützen, wenn sie in dieselbe Situation kommen?

Ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Für mich war es wichtig, dass ich meine Familie und Freunde früh abgeholt habe und ihnen auch gesagt habe, dass das eine schwierige Zeit sein kann. Und dass es sein kann, dass ich auch mal für einige Zeit verschwinde – und vielleicht nur Essen vor der Tür gebrauchen kann. Unter anderem glaube ich, dass eine professionelle Begleitung durch Coaching und Therapie essenziell ist.

Das nächste, das wichtig war: Dann auch aus dem Unternehmen rauszugehen, einen harten Cut zu machen und nicht lange zu warten. Wie in einer langjährigen Partnerschaft. Das war übrigens nicht nur für mich wichtig, sondern auch für Kuchentratsch, dass der neue Eigentümer gut übernehmen kann.

Du hast es eben schon gesagt, du warst acht Jahre lang Katharina von Kuchentratsch. Wie geht man danach in den, ich nenne es, Rebranding-Prozess?

Ich hab gelernt, dass sich selbst neu zu erfinden, schon eine ziemliche Aufgabe ist. Das geht nicht über Nacht. Da gehört sehr viel dazu.  Die Basis für so eine Arbeit war sicherlich die Trauerarbeit, das Loslassen, kritische Selbstreflexion. Der erste große Meilenstein dieser Aufgabe war, das Mindset auf Möglichkeiten zu shiften. Die Möglichkeit, mit einem weißen Papier vor sich zu sitzen und das Privileg zu haben, dieses Blatt Papier zu bemalen. Und wenn man mich vor einem Jahr gefragt hätte, hätte ich sicher nicht gesagt, dass ich bin, wo ich bin.

Warum?

Zum einen, weil ich vor über einem Jahr noch kein Licht am Ende des Tunnels gesehen haben, aber vor Allem, weil vor knapp 4 Monaten in Europas größter Werbeagentur abgefangen habe zu arbeiten. Die Agenturwelt war tatsächlich gar nicht auf meinem Schirm als potenzielle Jobopportunity. Und ich war nach dem Ende von Kuchentratsch noch nicht bereit, die Fragen zu beantworten, die wichtig sind: Für wen will ich arbeiten? Was will ich machen? Kann ich für jemand anderen als für mich arbeiten? Es war ein sehr langer Prozess, durch den ich gehen musste, um diese Fragen für mich beantworten zu können.

Ist der Prozess nun abgeschlossen?

Der Prozess wird wahrscheinlich nie abgeschlossen sein, da sich Umstände immer ändern. Wie auch immer, habe ich für mich Entscheidungen treffen können, die Richtungsweisend sind.

Wie hast du das herausgefunden?

Ich habe sehr viel mit Vision-Boards gearbeitet, auf denen ich meine Bedürfnisse und Werte gesammelt habe – und mich gefragt habe: Wofür stehe ich eigentlich? Was finde ich spannend und warum eigentlich? Warum habe ich vor über acht Jahren gegründet? Was macht mir Freude? Wo erfahre ich Selbstwirksamkeit? Ich habe also ein Storybook für mich entworfen und dann geschaut, wo es Schnittstellen in der Außenwelt gibt.

Hast du in diesem Branding auch Bausteine der Kuchentratsch-Katharina übernommen?

Klar, ich habe mich sehr intensiv damit befasst, welche Puzzleteile ich mitnehmen will. Ein großer Bestandteil von mir wird immer die Kuchentratsch-Katharina sein.

Was ist rausgeflogen?

Meine Einstellung zu Bottom Up und Top Down Arbeitsumgebungen. Mit dem Gründen von Kuchentratsch habe ich die beiden Welten „böser“ Kapitalismus und „guter“ Sozialverein näher zueinander bringen wollen. Gründen, Bottom Up war für mich immer der „heilige Gral“. Mich anstellen zu lassen und dann aus diesen Strukturen zu wirken, kam mir nie so richtig in den Sinn.

Die meisten gründen ja auch, um Einfluss zu haben.

Das stimmt. Und ich musste mich deshalb auch irgendwann fragen, warum ich gegründet habe. Und die Antwort war nicht, dass ich absolute Freiheit wollte, 100 % Kontrolle haben oder den CEO Titel tragen muss, sondern dass ich Business und Impact verbinden kann. Und deshalb merke ich auch gerade, wie viel leichter es mir fällt, in bestehende Strukturen zu gehen.

Was machst du denn jetzt?

Ich bin zu einer der größten europäischen Werbeagenturen gegangen, zur Serviceplan Group. Dort bin ich dafür zuständig, Produkte zu entwickeln, die in Unternehmen dabei helfen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Ich beschäftige mich zum einen damit ein Team, welches Nachhaltigkeitsstrategien im Rahmen des Legal Engineerings entwickelt, aufzubauen und zum anderen damit, mit sehr spitzen Produkten Mehrwert zu generieren. Ein Beispiel dazu ist barrierefreier Zugang zum Internet.

Nachhaltigkeit im Sinne von sozial, ökologisch und finanziell?

Genau. Nachhaltigkeit ist ein sehr breiter und komplexer Begriff. Und es macht vor allem deshalb sehr viel Spaß, weil ich hier in der Serviceplan Group sehr unternehmerisch arbeiten darf. Ich darf meine Ärmel hochkrempeln, an Produkten arbeiten, welche zeitgleich in eine von mir entwickelte Strategie eingebettet werden.

Das ist schon ein großer Unterschied zu Kuchentratsch – wie ist es dazu gekommen?

Für mich liegen diese beiden Welten gar nicht so weit auseinander. Der einzige, signifikante, Unterschied ist, dass ich jetzt nicht mehr 100 % in der Verantwortung & dem Risiko stehe. Der Vorteil in meiner neuen Arbeitsumgebung könnte sein, dass ich mit meiner Arbeit hier noch viel mehr Menschen positiv beeinflussen kann, Nachhaltigkeit in die Mitte der Gesellschaft zu rücken. Es bleibt spannend.

 

Wer ist Katharina Mayer?

 

Katharina Mayer ist die Gründerin von Kuchentratsch. Acht Jahre hat sie an ihrem Social-Business gearbeitet; bis sie Insolvenz anmelden musste. Für sie begann damit eine Zeit des neu Anfangens und des sich Umorientierens. Katharina wurde dieser Neubeginn aufgezwungen. Viele müssen sich freiwillig dazu entscheiden, wenn sie es denn überhaupt tun! Für Katharina hat es sich jedoch gelohnt. Nicht nur hat sie ein Studium in Oxford begonnen, sie hat auch eine neue Rolle gefunden. 

 

 

 

 

 

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Bastian ist Wirtschaftsjournalist und Content Consultant.

Er ist an der Deutschen Journalistenschule ausgebildet worden. Vor seiner Selbständigkeit hat er bei Business Punk und Capital gearbeitet.

Bastian Hosan
Content Consultant

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