Agenturen stehen unter Feuer . Der Kampf um Aufmerksamkeit wird immer härter, je mehr klassische Medien unter Druck geraten. Gleichzeitig verändern sich die Kanäle, auf denen Agenturen und ihre Kunden Storys erzählen können, rasant – und damit auch die Anforderungen an ihre Arbeit. Carolin Lessoued, Co-Gründerin und Chefin der Berliner Agentur Openers, ist jetzt seit 10 Jahren im Geschäft. Hier erzählt sie, was sich in dieser Zeit verändert hat und wie man on top of the game bleibt – und was das mit konstanter Innovation zu tun hat
robotspaceship: Ihr seid seit 10 Jahren im PR-Geschäft: Was hat sich verändert seitdem?
Carolin Lessoued: Wenn man sich die vergangenen Jahre oder sogar Jahrzehnte anschaut, dann gibt es viele Dinge, die in dieser Zeit gleichgeblieben sind. Kanäle haben sich verändert, Ansprachen auch – die Art, zu arbeiten, oft nicht. Vieles ist bis heute halbwegs deckungsgleich geblieben. Die gleichen Instrumente, Kanäle, News zu verbreiten, der Arbeitsmodus an sich. Wenn auch definitiv deutlich digitaler, multimedialer, schneller und die Anzahl der Kanäle hat sich deutlich erhöht. Und natürlich sind wir insgesamt einfach weg von dem verruchten MAD MEN Agenturbild, in welchem wir abends an Hotelbars Journalist:innen unterhalten.
Gilt das immer noch?
Jetzt befinden wir uns allerdings in einer Zeit, in der sich schon mindestens mittelfristig sehr viele Dinge ändern werden in unserem Berufsstand.
Gibt es Veränderungen, die du besonders genau beobachtest?
Wir haben vier große Punkte für uns ausgemacht, die wir genau im Blick haben. Manches davon läuft schon, anderes beginnt erst, wieder anderes ist gar nicht mal so neu.
Was denn?
Es mag banal klingen, aber das Thema Content-Marketing ist einer dieser Bereiche, die jetzt im Moment immer wichtiger werden, auch wenn das Thema an sich nicht ganz so neu ist.
Inwiefern?
Content-Marketing und PR verschmelzen immer mehr. Geschichten werden nicht nur erzählt, sondern immer öfter auch erlebt bzw erlebbar gemacht. Content-Marketing kann, anders als reine PR, tief eintauchen, authentische, fesselnde Geschichten erzählen und baut damit eine narrative Brücke zur PR, die dann wiederum durch Daten und Zahlen und Fakten informiert. So lassen sich immer mehr valide und nachhaltige Beziehungen zu Kunden, Lesern und Co knüpfen. Durch diese Synergie können Botschaften mit Präzision und Leidenschaft versendet werden!
Wenn wir über Content-Marketing sprechen – über welche Kanäle sprechen wir dann?
Im Grunde über jeden! Das ist ja das Verrückte daran. Von klassischem Print und Online Medien über Radio und TV hin zu Blogs, Social Media und Co. Wir tauchen immer weiter in den Bereich der Werbung ein – und das ist für uns als Agentur für PR & Kommunikation natürlich etwas Neues. Wir sehen hier gerade auch eine große Veränderung bei den Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten.
Welchen?
Lange Zeit waren die PR- und Marketing-Teams strikt getrennt. Jetzt sehen wir, dass sich das oft und immer mehr zu einer Einheit verschmilzt (Ja, es gibt Ausnahmen und die wird es auch immer geben). Und das gibt schon Aufschluss darüber, wie sehr man über alle Kanäle hinweg funktionieren muss. Silos funktionieren nicht mehr – SEO, Performance-Marketing, Influencer Marketing, Werbung: Das muss und sollte heute und in Zukunft alles im Schulterschluss mit PR funktionieren.
Wenn alles zusammenwächst, wird die klassische PR dann kleiner?
Das würde ich so nicht sagen. Dieses klassische und traditionelle Handwerk, Geschichten organisch in Medien unterzubringen, wird es immer geben. Gleichzeitig denken wir eben viel, viel stärker in Sachen Storytelling und die holistische, strategische Medienberatung, aber auch der Bereich Branding in all seinen Facetten gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Damit einhergehend entwickelt sich ein neues, deutlich analytischeres und gleichzeitig kreativeres Handwerk. Denn das verlangen die Kanäle, die sich da auftun, eben jetzt. Wir suchen, glaube ich, gerade nach einer neuen Definition, was PR ist und in Zukunft sein wird.
Wir haben also eine Strukturveränderung auf der einen Seite – wie sieht es auf der technologischen Seite aus?
Da könnte ich ewig drüber sprechen und es ist super spannend, was wir da bereits in den USA erleben. Neben dem flächendeckenden Einsatz von KI sprechen wir nämlich auch vom Einsatz von beispielsweise Virtual Reality in der PR – das muss man sich mal vorstellen, von welcher Tragweite wir hier sprechen, wenn sich Produkte und Gegebenheiten wirklich erlebbar machen lassen!
Hast du schon eine Ahnung, worauf sich das alles auswirken wird?
Die Frage ist doch, worauf wird sich das nicht auswirken? In unserem Job wird es kaum einen Bereich geben, so viel scheint relativ sicher. Und sei es nur auf Inspirationsebene. Wir sprechen dazu wirklich viel, auf C-Level Ebene, aber auch mit unseren Mitarbeitenden.
Wie kann man sich da den Ton vorstellen?
Da sind diejenigen, die tatsächlich Angst haben, weil KI ihren Job übernehmen könnte. Und es gibt die, die eher die Dinge sehen, die KI nicht wegrationalisieren kann. Das sind spannende Gegensätze.
Gibt es denn Dinge, die euch die KI bisher auf keinen Fall abnehmen kann?
Mal ganz rational: KI wird nicht immer zwangsweise jemanden ersetzen. Die Person, die besser mit KI umgehen kann, aber vermutlich perspektivisch schon. Und auf der weniger rationalen Ebene: Unser Bauchgefühl lässt sich schwer kopieren.
Also, das Gefühl, wie eine Geschichte funktioniert?
Ja, aber auch, wen ich anrufe, wie ich eine Story aufbauen kann und auf welchen Kanälen sie funktioniert. Die Antizipation, was gut ist und was nicht gut ist, ist jetzt noch unsere Domäne.
Jetzt noch?
Sobald eine KI im großen Stil mit sozialen Medien gefüttert wird, wird sich auch das ändern. Davon bin ich überzeugt. Dann kann die KI auch die Gefühle eines ganzen Mikrokosmos, einer Subkultur oder einer Zielgruppe spüren können. Und irgendwann auch interkulturelle Kompetenzen aufweisen. Aber das führt vielleicht jetzt zu weit.
Dann werd‘ doch mal konkret: Was kann KI euch jetzt schon abnehmen?
Wenn wir von abnehmen sprechen, meinen wir unterstützen – das ist wichtig zu erwähnen. Und KI kann uns schon jetzt beim Schreiben von Texten sehr gut unter die Arme greifen. Das fängt bei der Recherche an und ist ja längst schon kein Geheimnis mehr. Wir arbeiten in vielen Bereichen auch stark mit AI-Tools: Wir recherchieren, planen, übersetzen, lokalisieren. Der nächste große Bereich ist das Reporting. Wie messen wir Erfolge? Da ist jetzt schon sehr viel KI mit drin. Wie kommen meine Nachrichten und Botschaften eigentlich an? Wie wird darauf reagiert? Bisher gab es dafür Medienbeobachtungs-Dienste. Die sind aber auch relativ teuer und teilweise fehleranfällig, oder bieten eben einfach nicht die 360 Grad Auswertung. Die Kombination dieser mit KI-Tools bietet schon jetzt sehr gute Ergebnisse.
Das heißt, hier macht euch die KI eigentlich besser?
Ja, sie macht uns besser in unserer Arbeit, weil sie uns dabei hilft, unsere Zielgruppen besser zu verstehen. Wie vorhin schon erwähnt, wird auch die KI immer “schlauer”, was Lifestyle, aber eben auch Kulturen angeht. Das wird für uns durchaus in einem sehr internationalen Umfeld durchaus spannend. Auch die KI Sprachmodelle entwickeln sich rasant. Hier werden wir uns viel zu Eigen machen können.
Ich kann mit KI viel besser verstehen, welche:r Journalist:in über welche Themen schreibt, wie er oder sie sich diesen Themen annähert. Das kann ich mir alles auswerten lassen und dementsprechend super-individuell und angepasst auf die spezifischen Bedürfnisse arbeiten.
Nicht mehr one-size-fits-all, also?
Genau. Und das geht dann natürlich auch auf der anderen Seite. Ich kann mir ansehen, welches die Hauptzielgruppen meiner Kunden sind, wofür sie sich interessieren und dann Inhalte dementsprechend anbieten. Das macht unsere Arbeit sehr viel besser und effizienter.
Und wissen die Kunden, dass ihr so arbeitet?
Klar, da sind wir sehr transparent.
Und wie reagieren sie sonst so auf den Einsatz dieser Technologien?
Bisher sehr gut. Bisher ist das für alle ein Lernprozess. Und man muss natürlich auch sagen, dass wir aktuell noch oft an unsere Grenzen geraten, weil die leicht zugänglichen und niederschwelligen KI-Tools oft auch noch nicht so weit sind.
Oft hört man in der Medienwelt, dass wir uns da gerade selbst abschaffen würden. Hast du das Gefühl auch?
Ich verstehe die Angst. Ich würde da aber für ein bisschen mehr Gelassenheit plädieren. Wir können nicht in die Zukunft sehen – aber mein Gefühl ist, dass wir da schon noch ein bisschen Zeit haben. Zeit, die wir nutzen sollten, um uns auf die neue Situation und ihre Gegebenheiten einzustellen und Augen und Ohren offen zu halten. Für mich bzw. uns gehört es auch zur unternehmerischen Verantwortung, uns und unsere Mitarbeitenden darauf vorzubereiten und früh genug die richtige Richtung einzuschlagen. Jetzt einfach untätig zu sein/zu bleiben, erscheint mir wirklich naiv. Denn dass sich etwas ändern wird, ist vollkommen klar.
Wer ist Carolin Lessoued?
Carolin Lessoued ist Co-Gründerin der Berliner Boutique-Agentur Openers. Zu ihren Kunden gehören Unternehmen, die das Leben (fast) aller weithin prägen – etwa Gorillas, Malt, Spotify. Ihre Agentur ist seit 10 Jahren im Geschäft. Genauso lange muss sie sich auch an die Gegebenheiten der Welt um sie herum anpassen.