Klar ist: Wir lieben Geschichten. Klar ist auch: Wir lieben Audio. Auf dem Weg zur Arbeit, beim Bügeln, beim Fahrradfahren bietet es sich an, anstatt zu lesen zum Podcast oder eben zum Hörbuch zu greifen. Laut Statista hören in Deutschland 2,5 Mio. Menschen mehrmals in der Woche Hörbücher. 40 Prozent der Deutschen hören einmal im Monat. Vor allem Krimis und Thriller haben es den Menschen angetan.
Bis in die Pandemie hinein war der Hörbuch-Markt noch immer hauptsächlich analog. Viele Menschen wollten die großen CD-Boxen im Regal stehen haben. Seitdem aber hat sich der Markt rasend schnell verändert, 90 Prozent der Verkäufe finden heute digital statt. Und seitdem ist in der Branche nichts mehr, wie es war. Wie sich der Wandel gestaltet, erzählt Colin Hauer.
robotspaceship: Was sind die wichtigsten Trends auf dem Hörbuchmarkt?
Colin Hauer: Das ist eine große Frage zum Einstieg! Es passiert derzeit unglaublich viel auf dem Hörbuchmarkt. Entscheidend ist, dass der Markt heute ein komplett anderer ist als noch vor ein paar Jahren und es weiterhin dynamisch bleibt.
Wie meinst du das?
Wir haben sehr viele Entwicklungen innerhalb kürzester Zeit durchgemacht. Man muss sich das so vorstellen: Der Hörbuchmarkt war lange Zeit physisch getrieben. Als schon kaum noch Musik-CDs verkauft worden sind, haben die Leute immer noch Hörbücher auf CDs gekauft.
Und jetzt?
Jetzt ist die Realität die, dass wir mehr als 90 Prozent unseres Umsatzes mit digitalen Produkten machen. Also mit Downloads, mit Abos, mit Streams.
Was bedeutet das?
Viele denken, dass Buchbranche und Hörbuchmarkt sich ähneln. Auch wenn wir miteinander verwandt sind, leben wir doch in recht unterschiedlichen Welten. Der Büchermarkt ist immer noch zu großen Teilen analog. Bücher kaufen die Menschen am liebsten auf Papier. Da muss man sich immer wieder vor Augen führen, dass wir im Hörbuchbereich völlig anders, und zwar deutlich digitaler, dastehen.
Kannst du erklären, wie sich dieser Unterschied im Alltag zeigt?
Das wirkt sich auf so ziemliche alle unserer Prozesse und Strukturen aus. Wir haben andere Handelspartner:innen. Wir nutzen andere Kommunikationskanäle, um unsere Zielgruppen zu erreichen. Natürlich treiben uns gleichermaßen BookTok, KI und Co um – aber am Ende ist es vor allem der Shift von einem physischen Markt hin zu einem digitalen in Gänze, der sich darauf auswirkt, wie wir arbeiten.
Bis wann haben die Leute mehr physische als digitale Hörbücher gekauft?
Das ist erst wenige Jahre her. Corona hat natürlich sehr viel verändert. Es gibt Verlage, die haben zu Pandemie-Beginn noch 50 Prozent ihres Umsatzes mit physischen Datenträgern gemacht. Bei einigen ging die Entwicklung schneller voran und bei anderen langsamer…
… aber insgesamt war es ein radikaler Bruch.
Ja, die Geschwindigkeit und die Implikationen waren extrem.
Sitzen denn da jetzt noch dieselben Mitarbeiter:innen wie vor fünf Jahren in den Verlagen?
Das Schöne ist, dass der Hörbuchbereich als solcher sehr progressiv ist. Veränderung kannten wir ja auch schon vorher: Wir haben immer wieder Formatwandel gesehen. Erst gab es die normale CD und die Boxen mit den 10 CDs, dann gab es MP3-CDs. Entsprechend haben sich auch die Art und Weise, wie man hört, verändert – und der Ort des Kaufs oder Zugangs. Als Branche sind wir mit diesen Veränderungen immer sehr positiv und zukunftsgerichtet umgegangen. Das gilt zumindest für die meisten Menschen, die ich kenne und erlebe. Die arbeiten aktiv daran mit, dass wir nach vorne kommen. Trotzdem, das muss ich auch sagen, hat sich unser Unternehmen in den letzten Jahren sehr verändert.
Inwiefern?
Ich würde sagen, knapp 50 Prozent unserer Belegschaft sind kaum länger als ein Jahr dabei. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich die Anforderungen geändert haben und wir einfach neue Profile gebraucht und weitere Stellen geschaffen haben. Insgesamt sind wir nicht nur im Umsatz, sondern auch personell immer weitergewachsen. Die natürliche Fluktuation ist da eher ein Nebeneffekt. Die Mitarbeiter:innen, die schon länger dabei sind, haben sich außerdem auch konstant neu erfunden, weiterentwickelt und ihre Arbeitsweisen an die neuen Herausforderungen angepasst.
Du sprachst eben über digitale Kanäle – was verändert sich eigentlich konkret, wenn ein Hörbuch nicht mehr auf einer CD, sondern digital verkauft wird?
Wir versuchen beim Hörbuch immer, parallel zum Buch zu planen. Wir bekommen die Texte sehr früh, noch bevor sie in den Druck gehen, damit wir mit ihnen ins Studio gehen können. Die Aufnahme ist noch gleichgeblieben, soweit alles wie immer. Aber: Für digitale Produkte brauchen wir keine Booklets mehr, auch die Vorläufe fürs Presswerk fallen weg sowie die Logistik und die Überlegungen, in welchen Geschäften die CDs eigentlich verfügbar sein sollen. Auf der anderen Seite müssen wir fürs Digitale ganz anders planen. Vor allem dann, wenn es um die Absatzkanäle geht: In der physischen Welt war es sehr wichtig zu berechnen, wie viele Hörbücher wir eigentlich verkaufen können und wollen, um dann entsprechend zu produzieren. 1000 oder 10.000, das ist ein riesiger Unterschied – sowohl in den Stück- als auch in den Gesamtkosten. Heute geht es stattdessen um Themen wie Discoverability. Wenn die Begrenzungen von Ladenflächen wegfallen und jeder Titel jederzeit verfügbar ist, dann muss man dafür sorgen, die entsprechende Sichtbarkeit zu gewährleisten – oder die Nachfrage.
Wie sieht das denn bei euch mit künstlicher Intelligenz aus – nutzt ihr sie in der Produktion?
Wir nutzen KI nicht in der Produktion. Stattdessen befassen wir uns damit, wie sie uns in der Optimierung einzelner Prozesse in anderen Teilen der Wertschöpfungskette helfen kann. Es gibt viele Themen, in denen wir uns verbessern können, da kann KI uns möglicherweise helfen. Damit wir noch mehr Zeit und Ressourcen für die wirklich kreative Arbeit zur Verfügung haben.
Wie sieht das in der Stimmnachbildung aus?
Hier hegen wir keine Ambitionen und ich hoffe, dass die anderen Branchenteilnehmer das ähnlich sehen. Ich weiß, dass die Entwicklung in dem Bereich rasant ist, aber ich bezweifle, dass eine KI jemals dieselben Emotionen rüberbringen kann wie die echte menschliche Stimme von ausgebildeten Schauspiel- und Sprechtalenten.
Was sind für dich die wichtigsten Veränderungen, wenn es um die digitale Welt geht?
Heute muss ich mir zwar keine Gedanken mehr über die Auflage machen. Dafür aber um die Sichtbarkeit. Das heißt, dass ich heute ganz andere Partner:innen betreuen muss als noch vor fünf Jahren. Wir sprechen heute nicht mehr nur mit vielen kleinen Buchhandlungen, die unter Umständen leider nicht mal mehr einen Hörbuchbereich haben, sondern mit neuen digitalen Playern, wie BookBeat, Audible, Thalia und Co., bei denen wir digitale Sichtbarkeit benötigen. Für uns ist aber auch eine Herausforderung, dass wir beiden Welten gleichermaßen gerecht werden wollen. Denn auch wenn wir 90 Prozent unserer Erlöse heute digital erzielen, heißt das nicht, dass wir gar nicht mehr hinter dem physischen Produkt stehen – daher müssen wir hier noch genauer reingehen und effizienter planen.
Das heißt, es gibt immer noch die Leute, die Harry Potter auf 20 CDs kaufen und hören?
Ja, klar! Oder in unserem Fall dann vielleicht Marc-Uwe Klings „Die Känguru-Chroniken“. Ob physisch oder digital ist eine Frage der Zielgruppe: Manche Zielgruppen erreicht man analog schlicht nicht mehr, die sind weg. Aber bei Kindern ist es zum Beispiel noch sehr beliebt, Hörspiele auf CD zu hören. Da gibt es unter anderem die Toniebox, die noch dazugekommen ist, und vergleichbare Angebote für Kinder. Und dann gibt es auch noch Menschen, die viel CD im Auto hören – und dementsprechend auch Hörbücher. Die Liebe zur Haptik, zu einem Produkt, das man anfassen kann, sollte man nicht unterschätzen.
Alles, was du beschreibst, klingt sehr nüchtern. Früher Buchhandel, heute Amazon, früher CD, heute Stream, das ist eben so. Wie würdest du das beschreiben: Ist das ein guter Prozess, in dem wir da gerade stecken?
Hier muss ich ein bisschen ausholen. Als ich Schüler war, habe ich mir jede Woche eine neue CD gekauft und davon geträumt, ein riesiges CD-Regal zu haben. Dann habe ich angefangen, in der Musikbranche zu arbeiten, als die Verkäufe auf dem absoluten und ewigen Tiefpunkt waren – illegale Downloads, kaum jemand hat mehr CDs gekauft, legale Downloads und Streams gab es noch nicht. Das hat sich dann nach und nach geändert – ich konnte dank der neuen legalen Angebote viel mehr hören als jemals zuvor, auch wenn sich das Regal nicht mehr gefüllt hat. Ich hatte während meines Berufslebens eine Entwicklung vom absoluten Tiefpunkt in eine digitale Zukunft und habe in dieser Zeit viele Leute von goldenen Zeiten schwärmen hören. Für mich waren die vermutlich schwärzesten Zeiten aber mein Anfangspunkt – es wurde also unterm Strich immer besser. An der aktuellen Entwicklung führt für mich kein Weg vorbei, auch in der Hörbuchbranche – trotz aller Nostalgie und Liebe zur CD, die ich weiterhin hege.
Sind Hörbuch- und Musikmarkt hier vergleichbar?
Vergleichbar, ja, aber: Die Einbrüche waren im Hörbuchmarkt nicht so dramatisch wie die Napster-Zeiten der Musikindustrie. Wenn man sich die Umsätze der vergangenen Jahre anschaut, dann kann man sehen, dass die CD-Verkäufe stark zurückgegangen sind, während die Umsätze auf den digitalen Kanälen gestiegen sind. Wir profitieren da auch von einer anderen Entwicklung.
Von welcher?
Wir erleben gerade einen regelrechten Audio-Boom.
Wird das bleiben?
Ich glaube und hoffe, ja. Ich gehe nicht davon aus, dass es ein kurzfristiger Trend ist.. Wir erzählen uns schon immer Geschichten, das ist wohl so alt wie die menschliche Sprache. Diese Erzählungen mit professionellen Stimmen aufzunehmen und auf einen Datenträger zu übertragen, hat den Zugang vereinfacht. Und in der digitalen Welt verschwinden zunehmend Barrieren, die dem Zugang im Wege stehen könnten.
Welche Vorteile hat die digitale Welt denn?
Als Endkunde kannst du viel mehr ausprobieren. Früher hast du ein Hörbuch kaufen müssen. Das geht zwar immer noch – aber wenn du willst, kannst du bei einem Streaming-Anbieter ein Abo abschließen, viele Dinge testen und hören, was dir gefällt. Das ist gut für alle Beteiligten, finde ich.
Wer ist Colin Hauer
Colin Hauer beschreibt sich selbst als digitalen Medienmanager mit einer Leidenschaft für Technologie, (Hör)Bücher und Musik. Seine Karriere hat er in vielen Musikkonzernen verbracht, war bei Universal, Sony, Warner, aber auch bei Amazon und Apple Music. Inzwischen ist er der CEO bei Hörbuchverlag Hamburg und treibt dort die digitale Transformation dieses Mediums voran.